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Mund aufmachen: Darum musst du ganz klar sagen, wenn du etwas willst

Ich bin kein Freund der Wörter „müssen“ und „wollen“, aber in diesem Fall komme ich nicht umher: Wenn du etwas willst, dann musst du den Mund aufmachen. Denn kaum etwas wächst in der heutigen Gesellschaft so schnell wie Ignoranz. Umso wichtiger ist es, das Kind stets beim Namen zu nennen.

Man kann zunehmend beobachten, dass sich die direkte Kommunikation im gesellschaftlichen Miteinander drastisch reduziert – sei es nun aufgrund fortschreitender digitaler Kommunikationsmöglichkeiten oder dem einhergehenden und anhaltenden gesellschaftlichen Werteverfall. Ein Plausch mit dem Nachbarn im Treppenhaus, Postboten am Gartenzaun oder Sitznachbarn im Bus? Heutzutage nur noch seltene Bilder.

Wird bald nur noch gezuckt und geblinzelt?

Immer wieder begegne ich Menschen, die sich nur noch über einzelne Laute oder lediglich über ihre Mimik und Gestik auszudrücken versuchen. Den Mund aufmachen, wozu? Wem zumindest noch Wortfetzen entgegnet werden, der darf sich glücklich schätzen. Lasset das Rätselraten beginnen! Für solche Kommunikationsanalphabeten fehlt mir schlichtweg das Verständnis. Man kann seinen Mitmenschen das Leben auch unnötig schwer machen. Vor allem aber sich selbst tut man auf Dauer mit wortkargen Halbsätzen keinen Gefallen.

Wer schweigt, kommt nicht weit

Ich pflege mittlerweile die Angewohnheit, die offensichtlichen Anliegen meiner sprachlosen Mitmenschen in Form einer rhetorischen Frage und mit einer Prise Ironie in verständliche Worte zu fassen. Manchmal spricht aber auch mein Gesicht einfach nur Bände – in der Hoffnung, mein Gegenüber erkennt meine Fassungslosigkeit. So kürzlich im Bus geschehen:

Ich nahm neben einer jungen Erwachsenen auf einem Sitz am Gang Platz. Mit meiner Platzwahl versperrte ich ihr mehr oder weniger unfreiwillig den Weg in den Mittelgang bzw. zur Tür. Und los geht’s: Als sich der Bus langsam ihrer Haltestelle näherte, wendete sie sich zunächst vom Fenster zu mir in Richtung Gang – ihr Smartphone stets zu Händen. Auch ich war erkennbar am Handy in meine E-Mails vertieft. Als ich im noch fahrenden Bus nicht gleich aufsprang, um ihr den Weg freizumachen, packte sie ihr Smartphone demonstrativ in ihren Rucksack.

Offensichtlich wollte sie mit ihrer verkörperte Aufbruchsstimmung die Notwendigkeit umgehen, mich mit Worten darauf hinzuweisen, dass sie demnächst aussteigen müsse. Ein amüsantes Schauspiel, das ich ab diesem Zeitpunkt zugegebenermaßen begann mitzuspielen. Meine Motivation: vielleicht doch noch eine Silbe aus der Frau herauszubekommen.

„Ich muss auch raus“

Auf ihre wortlosen Versuche, aufzustehen, reagierte ich nicht. Die Haltestelle bereits in Sichtweite, rutschte sie mir nun auf ihrem Sitz leicht aufgeregt entgegen. Was sie nicht wusste: Ich wollte ebenso aussteigen. „Ich muss auch raus“, entgegnete ich ihr höflich aber bestimmt als ich meinen Blick nach oben richtete, um ihren einzufangen. Ein peinlich berührtes Lächeln zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab, während sie mir ein leises „Ah“ entgegenhauchte.

Mund aufmachen: Lieber leise als gar nicht

Soweit zu meiner jüngsten und sicher nicht der letzten Begegnung mit dem leibhaftigen Schweigen. Ich weiß nicht, ob sie es auch rechtzeitig aus dem Bus geschafft hätte, wenn tatsächlich ein gnadenloser Ignorant neben ihr gesessen hätte. Oder zu welchen nonverbalen Verrenkungen sie meine vorgetäuschte Ignoranz noch getrieben hätte. Fakt ist, dass sie die direkte Ansprache auf Biegen und Brechen scheute. Dabei reden wir nicht einmal von einem Zweizeiler. Nur ein paar Worte hätte es gebracht. Mit einem derartigen Verhalten ist sie bei Weitem nicht die Einzige. Die verstummten Münder ziehen sich mittlerweile geschlechtsunabhängig durch sämtliche Generationen.

Wenig weitsichtig, wer jetzt auf introvertierte Schüchternheit plädiert. Sicherlich ist nicht jeder der geborene Redner. Und oft ist das gesprochene Wort auch das schwierigste. Wer ein konkretes Anliegen hat, darf allerdings nicht darauf hoffen, dass andere es ihm aus der Nase ziehen – geschweige denn mitdenken oder ihm gar zu Hilfe kommen. Die Chancen stehen schlecht. Denn in den meisten Fällen ist sich – traurig aber wahr – jeder selbst der Nächste. Und in meinem Beispiel reden wir vom Aussteigen aus einem Bus. Wie wird sie ihre Wünsche erst kommunizieren, sobald sich dessen Automatiktüren hinter ihr schließen? Bei aller Leichtigkeit: Den Ernst des Lebens gibt es da draußen und kreuzt er erstmal deinen Weg, kommst du mit Schweigen selten weit.

Wenn du etwas willst, musst du den Mund aufmachen. Zwar ist nicht einmal dann garantiert, dass das gesprochene Wort tatsächlich auch Gehör findet – schließlich wird nur gehört, was gehört werden will. Ohne jeglichen Versuch zu kapitulieren und sich in die Gesellschaft des Hinnehmens einzureihen, ist aber auch keine Lösung.

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