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Shitstorm in Corona-Krise: Darum trifft ein Adidas-Boykott in jedem Fall die Falschen

Warum ein Adidas-Boykott infolge des Shitstorms um die Mietzahlungen in der Corona-Krise in jedem Fall die Falschen trifft und wohin dein Blick stattdessen wandern sollte, verrate ich dir hier.

Am 26. März landete Adidas inmitten der Corona-Krise einen marketingtechnischen Super-GAU: Der Sportartikelhersteller plante, die Mietzahlungen für seine geschlossenen Einzelhandelsgeschäfte im April aussetzen zu wollen. Kurz nach Bekanntwerden dieses Vorhabens brach in den Sozialen Medien über das Milliardenunternehmen ein gewaltiger Shitstorm herein, der zu allem Übel zu einem „Adidas-Boykott“ aufrief. Zum Verhängnis wurde dem Weltkonzern jedoch nicht primär die fehlende moralische Komponente bei seiner Handlung, sondern sein Versagen in der Kommunikation auf ganzer Linie. Ebenso sicher: Das Debakel trifft am Ende des Tages die völlig Falschen.

Shitstorm für Adidas: Missmanagement at its best – die Fehler

Nachdem die Bundesregierung am 25. März kurzfristig das „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“ auf den Weg gebracht hatte, entschloss sich Adidas, von diesem Gebrauch zu machen. Unter anderem untersagt die Verordnung Vermietern, ihren Mietern zu kündigen, falls diese wegen der Corona-Krise in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Dass ein milliardenschwerer Konzern wie Adidas in solch eine Situation gerät, ist im ersten Moment kaum vorstellbar, aber dennoch nicht ausgeschlossen.

Was ein Unternehmen dieser Größenordnung braucht, um eine solche Lage möglichst nachvollziehbar zu kommunizieren, ist eine ordentliche Portion Fingerspitzengefühl – von dem Adidas in diesem Moment seiner Unternehmensgeschichte nicht ein Quäntchen zeigte und einen Shitstorm regelrecht provozierte. Doch was lief da genau schief?

Adidas-Boykott Hauptsitz Herzogenaurach
Eine ähnliche Ruhe wie auf diesem Bild vom Hauptsitz der Adidas AG in Herzogenaurach hatten auch die Verantwortlichen im Shitstorm um die Mietzahlungen weg. (Bild: Adidas AG)

1
Bild-Statement statt offizielle Presseerklärung zum Mietenstopp

Statt das Vorhaben und die Umstände über eine Pressemitteilung konkret darzulegen bzw. zu beziffern, erklärte lediglich eine Unternehmenssprecherin am 26. März auf Nachfrage gegenüber Bild.de: „Es ist richtig, dass adidas, wie viele andere Unternehmen auch, vorsorglich Mietzahlungen temporär aussetzt wo unsere Läden geschlossen sind. Wir sind dazu mit den betreffenden Vermietern in engem Austausch.“

Möglicherweise kam den Verantwortlichen der Unternehmenskommunikation zuvor selbst der Gedanke, dass die breite Öffentlichkeit dem Konzern bei diesem Schritt fehlende Moral bzw. Solidarität vorwerfen könnte. Im guten Glaube, dass dem so war, hätte gerade dann nicht von einer offiziellen Pressemeldung zur Klärung der Hintergründe abgesehen werden dürfen. Spätestens mit dem Wissen, dass der Sportartikelhersteller das Gesetz nicht als einziges Unternehmen beanspruchen möchte, hätte er reaktionsschnell eine detaillierte Presseerklärung nachschieben müssen, um dem bereits ausgebrochenen Sturm Einhalt zu gebieten.

2
Hinnehmen verfälschter Berichterstattung statt zeitnaher Klarstellung

Die Sprecherin von Adidas erklärte gegenüber Bild.de unmissverstänlich, dass ihr Konzern „Mietzahlungen temporär aussetzt“. Das Online-Medium betitelt seinen Beitrag jedoch mit „Adidas-Shops zahlen keine Miete mehr“ – dieser Titel entspricht schlichtweg nicht der Wahrheit, entfacht aber in Windeseile die Empörung einer nicht unerheblich großen Leserschaft von Bild Online. Laut dem Portfolio von Bild.de auf mediaimpact.de landen täglich durchschnittlich 3,9 Millionen sogenannter Unique User (dt. Einzelne Nutzer) auf der Bild-Startseite. Klar, dass eine solch brisante Meldung im nächsten Moment – durch Leser und das Medium selbst – auch in den sozialen Medien landet und sich dort wie ein Lauffeuer verbreitet. Wer sich dann nicht die Mühe macht, den Artikel richtig oder überhaupt zu lesen und die Umstände zu hinterfragen, hat schnell einen undifferenzierten Beitrag getwittert.

Sogar weitaus seriösere Medien berichten in ähnlicher Form über das Vorhaben von Adidas. Vielleicht verfielen die Entscheidungsträger des Konzerns daraufhin in eine Art Schockstarre – gegen die verfälschte Berichterstattung gingen sie jedenfalls nicht vor.

3
Trotz Adidas-Boykott: Funkstille statt Krisenkommunikation

Mit der Meldung zum Mietzahlungsstopp brach der Sturm herein, wütete und eskalierte mit dem Aufruf zu einem Adidas-Boykott. Doch auch an der gesamten Social-Media-Front reagierte das Unternehmen zu keiner Zeit in irgendeiner Form. Auf dem Höhepunkt des Shitstorms entsagten sogar einstige Adidas-Liebhaber unter den mittlerweile trendenden Hashtags „#adidasboykott“ und „#niewiederadidas“ der gesamten Marke. Auch einige Politiker blickten nur wenig weiter über den Tellerrand und schworen dem Label ab. Die Tastaturen des Adidas-Teams blieben dennoch weiterhin gänzlich unberührt.

Dabei verfügt der Sportartikelhersteller – über Twitter & Co. nachlesbar – über eine Community-Management-Unit, die ihren Konsumenten im regulären Konsumalltag mit Rat und Tat zur Seite steht. Eine reaktionsschnelle Krisenkommunikation, wie sie hier mehr als gefragt war, zählt in der Theorie und bestenfalls in der Praxis sogar zu deren Paradedisziplinen – so nicht in den Hallen der drei Streifen. Offensichtlich hat es das Bewusstsein für diese „neuartige“ Kommunikationsform und deren Relevanz in Zeiten dieser „furchtbar schrecklich“ schnelllebigen Social Media auch noch nicht in die Unternehmensspitze von Adidas geschafft.

4
Klarstellendes Interview statt offizielle Presseerklärung

Sage und schreibe drei Tage ließ Adidas verstreichen, bis Vorstandschef Kasper Rorsted am 29. März im Gespräch mit der F.A.Z. eine erste Reaktion auf den Shitstorm verlauten ließ und dabei allen Ernstes eine Debatte auf Basis falscher Fakten bemängelte. Bis zum Zeitpunkt des Interviews hatte es ja auch keine von Adidas gelieferten Fakten gegeben – ausgenommen jene, die aus der Erklärung der Unternehmenssprecherin gegenüber Bild (Siehe Punkt 1) hervorgegangen waren.

Zwar brachte Rorsted Licht ins Dunkle, wählte dafür aber den falschen Kanal und ließ die entscheidende Geste aus. Der faz-Artikel wird zum Beispiel nur Abo-Lesern vollständig angezeigt, die aufgezeigten Fakten sind also nicht für jeden in vollem Umfang einsehbar. So oder so erreicht der Beitrag in erster Instanz faz-Leser und erhält nicht die nötige Reichweite für eine solche, längst überfällige Klarstellung.

Die folgenden Fakten bringt das Interview hervor:

  • Adidas hatte nicht vor, die Mieten nicht zu zahlen, sondern wollte sie gemäß des geschaffenen Gesetzes aussetzen bzw. stunden – also zu einem späteren Zeitpunkt zahlen.
  • Es hätte sich deutschlandweit „lediglich“ um 26 Mietobjekte gehandelt.
  • 4 Objekte sind bei Privatpersonen angemietet.
  • Die Vermieter der restlichen 22 Objekte sind „große Immobilienvermarkter und Versicherungsfonds“.
  • Der Konzern kämpft aufgrund der Corona-Krise mit gravierenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten.

Diese Fakten hätten über eine klassische Presseerklärung auf den Adidas-Webseiten sowie ein einhergehendes Presserundschreiben von vornherein bereitgestellt werden können, um einer möglichen Debatte zumindest etwas den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Geradezu selbstverständlich sicherte Rorsted in dem Gespräch dann noch zu, dass die Privatvermieter „ihre April-Miete wie gewohnt erhalten“ werden. Ansonsten wollte man weiter an seinem Vorhaben festhalten – was innerhalb der gesetzlichen Gegebenheiten prinzipiell in Ordnung gewesen wäre. Angesichts des Image-Schadens infolge der bisherigen nicht vorhandenen Krisenkommunikation hätte man auch darüber noch einmal mehr nachdenken sollen. Für diese erneute Überlegung ließ Adidas weitere drei Tage ins Land gehen.

5
Einknicken auf Nachdruck statt zeitnahe couragierte Entschuldigung

Am 1. April, ganze sechs Tagen nach Ausbruch der Empörung und des Shitstorms rund um die Mietzahlungen, schaffte es Adidas schließlich, eine offizielle Pressemitteilung zu veröffentlichen. „[D]ie Entscheidung, von Vermieter_innen unserer Läden die Stundung der Miete für April zu verlangen, wurde von vielen von Ihnen als unsolidarisch empfunden. Ihre Meinung ist uns wichtig, und Ihre Meinung ist eindeutig: Sie sind von adidas enttäuscht. Deshalb möchten wir uns bei Ihnen in aller Form entschuldigen“, heißt es in dem Schreiben. Die April-Miete sei außerdem an alle Vermieter bezahlt worden.

Dann folgt eine kurze Schilderung der aktuellen wirtschaftlichen Lage des Konzerns und eine längere Aneinanderreihung von Maßnahmen, die das Unternehmen auf sich nimmt, „um langfristig die Arbeitsplätze unserer 60.000 Mitarbeiter_innen zu sichern“. Als Mitarbeiter von Adidas würde mir spätestens jetzt die Hutschnur platzen. Denn in den vorangegangenen sechs Tagen hat die Konzernführung des bereits wegen der Corona-Krise wirtschaftlich angeschlagenen Unternehmens mit ihrem Nichtstun auch noch das Image der Sportmarke massiv geschädigt – im Hinblick auf die soziale Verantwortung gegenüber ihrer Mitarbeiter ein grob fahrlässiges Verhalten, das erst recht Arbeitsplätze kosten wird.

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Sie gehen aus einem Adidas-Boykott als eigentliche Verlierer hervor

Adidas-Boykott Mitarbeiter
Ein Adidas-Boykott trifft besonders diejenigen, die am wenigsten dafür können. (Bild: Adidas AG)

„Wir haben einen Fehler gemacht und damit viel Vertrauen verspielt. Es wird dauern, Ihr Vertrauen wieder zurückzugewinnen“, heißt es zum Abschluss des offenen Briefes von Adidas an seine Kunden. Doch Gleiches dürfte nun auch für die Mitarbeiter des Unternehmens gelten. Ihr Vertrauen wurde ebenso verspielt, ihre Jobs sind dank des halsbrecherischen Verhaltens der Adidas-Führungsetage in der Mietzahlungsdebatte nun gleich doppelt gefährdet:

Der Image-Schaden infolge des Shitstorms wird sich über kurz oder lang bemerkbar machen – in harten Zahlen. Und wenn diese nicht stimmen, rollen bekanntlich Köpfe. Zuallererst trifft es da immer noch die „Kleinen“. Wer also bei allem aktuellen Unmut über Adidas mal etwas über seinen Kleiderschrank hinausdenkt, stellt fest: Ein Adidas-Boykott trifft vor allem diejenigen, die am wenigsten dafür können. Store-Personal, Lagerarbeiter, Reinigungskräfte … .

Der Shitstorm zog zweifelsohne berechtigt auf, jedoch mit der falschen Botschaft an die falschen Adressaten. Die Führungsebene hat den Karren nicht nur in den Dreck gefahren, sondern sich auch selbst den Weg dafür geebnet. Einzig auf sie hätte die Kritik einhageln dürfen – nicht auf die Sportmarke als Gesamtes. Jahrzehntelang wurde das Markenbild von Adidas mit dem Ideenreichtum und der Arbeitskraft tausender Mitarbeitern mühsam geformt. Jetzt musste es innerhalb weniger Tage tiefe Schrammen verkraften – wegen der mangelnden Kompetenz von mutmaßlich nur einer handvoll „Führungskräfte“, die das Einmaleins der Unternehmenskommunikation nicht gebacken bekommen. Wer da jetzt noch drauf haut und Adidas boykottiert, hat auch keinen Zentimeter weiter gedacht als die „Unternehmensspitze“.

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Adidas-Boykott stoppen: Fight the Game, not the Player!

In dem Beitrag eines Kollegen heißt es, „Adidas ist nicht die Caritas“ und damit liegt er völlig richtig. Denn bei aller berechtigten Kritik hinsichtlich Adidas’ Moralverhalten in dieser Angelegenheit:

Wer einem kapitalistischen Unternehmen in Zeiten des Kapitalismus vorwirft, kapitalistisch zu handeln, der ist schlicht und ergreifend falsch gewickelt. Der Sportartikelhersteller selbst schreibt auf seiner Website offenkundig „We play to win“ (dt. Wir spielen, um zu gewinnen). Dass hier nicht nur vom sportlichen Gedanken die Rede sein kann, dürfte inmitten unserer Konsumgesellschaft unlängst bekannt sein. Und so lotet ganz platt ebenso die Finanz- bzw. Rechtsabteilung von Adidas alle Möglichkeiten aus, um das Kind auch und gerade während der Corona-Krise weiterhin in trockene Tücher zu betten – sicherlich nicht nur, aber eben auch der Arbeitsplätze wegen.

Im Fall der Mietzahlungen hat das Unternehmen von einem Gesetz Gebrauch machen wollen, auf das es rein rechtlich Anspruch hätte. Hier gilt vielleicht auch ein Blick in Richtung Gesetzgebung bzw. Bundesregierung, die trotz Warnungen wegen der Dringlichkeit des Gesetzes auf dessen Überarbeitung zur Vorbeugung von etwaigem Missbrauch verzichtete.

Und auch der unmoralische Beigeschmack vergeht etwas, wenn man sich einmal vor Augen führt, bei wem Adidas die Stundung seiner Mietzahlungen beansprucht hätte. Viele Immobilien in bester City-Lage gehören ebenfalls börsennotierten und wachstumsorientierten Kapitalgesellschaften. Allerdings sind diese meist sogar um ein Vielfaches größer als der Sportartikelhersteller selbst und die Mieten entsprechend horrend. Das vorübergehende Aussetzen der Mietzahlungen hätte diesen Giganten am allerwenigsten geschmerzt.

Apropos: „Nur“, weil Adidas ein Milliardenunternehmen ist, heißt das noch lange nicht, dass sie das Geld in Koffern in ihrer Konzernzentrale stehen haben und mal eben schnell zur Krisenhilfe locker machen können. Und auch ein Vorjahresgewinn sagt nichts über die aktuelle Liquidität aus. Das Geld solcher Unternehmen steckt oft zu einem Großteil in deren Wahren und Shops oder ist anderweitig im Umlauf und zum Beispiel für die Unternehmensentwicklung fest eingeplant. Ganz so einfach ist es also wie immer nicht.

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Die nicht vorhandene Kommunikationskompetenz von ein paar wenigen Köpfen wurde in der Mietzahlungsdebatte für Adidas zum Fallstrick. Die Folgen werden höchstwahrscheinlich völlig Unbeteiligte treffen. Statt also deine Adidas-Klamotten vorschnell zu entsorgen oder gar Klima-ignorant in Flammen aufgehen zu lassen, solltest du schlauer sein als die Führungsspitze der Marke, nochmal darüber nachdenken und all deine Produkte mit den drei Streifen oder dem schönen Trefoil dort lassen, wo sie jetzt sind und auch tragen wie zuvor. Mit einem Adidas-Boykott ist den vielen Mitarbeitern des Sportartikelherstellers, die in Zeiten des Coronavirus ohnehin schon um ihren Job bangen müssen, nämlich am allerwenigsten geholfen.

Lesetipp: Solidarität leben: Diese Gesten zeigen, wie unsere Solidarität in der Corona-Krise erblüht

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